Vera Molnar – Pionierin im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Vera Molnar wurde in Budapest geboren, dort erwarb sie 1947 ihr Diplom in Kuns-
geschichte und Ästhetik. Gleich nach ihrem Studium verließ sie ihre Heimat und wechselte – nach einem Stipendium in Rom – in das schöne Paris. Paris wurde von da an der Mittelpunkt ihres Lebens und ihres künstlerischen Schaffens.
Sie durchbrach schon früh die Konventionen der tradierten Kompositionsschemata und begab sich auf die Suche nach einer neuen Art der Bildgestaltung. Vera Molnar widmete ihre Aufmerksamkeit jenem Grad von Unordnung, der eine systematisch aufgebaute Komposition zum Kunstwerk machte. Um ihren Ansprüchen an die Bildgestaltung gerecht werden zu können, hatte sie noch bevor es den Computer gab ihre „Machine imaginaire“ entwickelt. Mit Hilfe dieser „Maschine“, oder anders ausgedrückt des manuellen Arbeitens analog einer Maschine, errechnete sie ihre Bildkompo-
sitionen. Dabei übernahm der Zufall – beim Computer war es dann ein programmierter Zufallsgenerator – die kreative „Störung“ eines zugrunde gelegten Ordnungssystems. Mit ihrer künstlerischen Intention der mehr oder weniger automatischen „Generierung“ von Bildern war Vera Molnar exakt am Puls der Zeit.
Vera Molnar, so könnte man aus heutiger Sicht sagen, wartete in den fünfziger und sechziger Jahren geradezu darauf, dass der Computer auch ihr zur Verfügung gestellt würde. Dieser hatte inzwischen in den Großrechenanlagen in Industrie und Wissenschaft Einzug gehalten und bei jenen kleinen Teams von Kybernetikern, die damals schon mit ihm arbeiteten, große Erwartungen geweckt. Noch wurde er ausschließlich für rein mathematische Rechen-
operationen eingesetzt. In den sechziger Jahren aber machten sich einige wenige Pioniere ans Werk, die Rechenmaschine zu einem graphisch und insbesondere auch für Kunst und Design einsetzbaren Werkzeug weiterzuentwickeln.
Die ersten künstlerischen, nicht primär zweckgebundenen Computergraphiken entstanden im Jahr 1965. Vera Molnar hatte das Glück, als Künstlerin schon im Jahr 1968 Zugriff auf eine Großrechenanlage und einen Plotter zu haben, am Universitätsrechenzentrum von Orsay – auf nicht ganz legalem Wege, wie sie später einräumte.
Vielleicht war es ja auch umgekehrt: Der Computer wartete beharrlich auf Vera Molnar. Dabei arbeitete sie, und das sollte auch bis heute so bleiben, parallel mit dem Computer und mit manuell angefertigten Zeichnungen, wobei beide Vorgehensweisen miteinander verschmelzen. Es geht ihr nicht um eine vollständige Digitalisierung der Bilder. Bis heute arbeitet sie mit dem Computer und der Hand, und zu ihren besonderen Markenzeichen zählt gerade, dass nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, ob eine Komposition manuell oder mit Hilfe des Computers erstellt wurde. Die Technik ist nicht Selbstzweck, sondern lediglich ein geeignetes Mittel, ihrer mannigfaltigen, inneren Motivwelt Ausdruck zu verleihen.
Vera Molnar bildete schon in jungen Jahren ihren unverwechselbaren, persönlichen Stil heraus, den sie bis heute in ihrem ausge-
sprochen reichhaltigen Werk entfaltet. Sie steht an der Schwelle von der analogen zur digitalen Kunst und zählt zu ihren wichtigsten Wegbereitern.
Sie ist die „Grande Dame“ der Computerkunst.
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